Effektive Selbstverteidigung durch Routine

Der Mensch macht alles, was lebenswichtig ist, ohne darüber nachzudenken, ganz automatisch. Wie zum Beispiel Atmen, denn müsste man immer über jeden Atemzug nachdenken, bekäme man nie genügend Sauerstoff und hätte gar keine Zeit über andere Dinge nachzudenken. Auch einige Bewegungsabläufe funktionieren automatisch. Wie entscheiden uns in eine bestimmte Richtung zu gehen und dann machen die Beine jeden Schritt, ohne dass wir weiter darüber nachdenken müssen. Dieses Prinzip des erfolgreichen Handelns in Routine kann man sich auch in der Selbstverteidigung zu Nutze machen, wie das Beispiel Krav Maga zeigt.

Wir ProntoPro BLOG haben darüber mit Lars Tensfeldt gesprochen, dem Inhaber von Krav Maga Hamburg. Der 45-Jährige ist in Heide, in Dithmarschen geboren und betreibt seit seiner Kindheit Kampfsport. Angefangen hat er im Alter von 9 Jahren mit Judo. Als Teenager wechselte er zum Jiu Jitsu, dem er bis zu seiner Dienstzeit bei der Bundespolizei treu blieb. Seit 1996 befasst er sich mit dem Thema reale Selbstverteidigung.

Sein Berufsleben ist geprägt von einem Zitat von Edmund Burke „Das Böse triumphiert allein dadurch, dass gute Menschen nichts unternehmen.“ Lars Tensfeldt war und ist es wichtig, etwas zu unternehmen, etwas beizutragen, dass das Böse nicht triumphieren kann. So hat er unterschiedliche Ausbildungen absolviert und blickt auf folgende Tätigkeiten zurück: Polizeimeister des Bundesgrenzschutzes, Staatlich anerkannter Erzieher, Skydiver, Rescue Diver, Maestro de Aleman (Lehrer Guatemala), Sicherheitsdienst, Schießleiter BDMP und Instruktor für Krav Maga, Kapap, Keysi, Israeli Tactical School, Protect – Israeli Security Solution, Functional Training Expert.

Nach dem Polizeidienst und der Arbeit in Afrika und Guatemala ist er nun schon seit 9 Jahren selbstständig und in Teilzeit im Bereich Gewaltprävention in Schulen. Ihm ist bewusst, dass Gewalt ein Teil der Welt ist, wenn auch nur ein sehr kleiner und dass dieser Teil doch sehr große Bereiche bestimmt. Ihm ist es wichtig, dem etwas entgegen zu setzen, und zwar bevor es zu spät ist. Als Polizist kam er immer zu spät, denn wenn die Polizei ermittelt, wurde die Tat ja schon begangen. Daher arbeitet er in Schulen und Präventiv mit möglichen Tätern – und in seinen Kursen ist alles gemischt.

Er führt sein Unternehmen allein und bildet sich auch immer noch in verschiedenen Bereichen weiter, da das Spektrum der Selbstverteidigung sehr groß ist. Er verzichtet auf kunstvolle Ausführung von Techniken. Lars Tensfeldt baut auf Konzepte der Konfliktlösung, Deeskalation, simpler Selbstverteidigung und des Drittschutzes sowie der entsprechenden Taktik. Somit haben auch körperlich schwächere Personen eine realistische Chance, einen Übergriff mit möglichst wenig Schade zu überstehen.

Mit seiner Arbeit bietet er individuelle Lösungen im Bereich der Selbstverteidigung, des Selbstschutzes und der Gewaltprävention. Dazu gibt es eine breite Palette an Seminaren und Workshops für alle relevanten Bereiche. Auf Anfrage sind auch spezielle Angebote für Behörden und Sicherheitskräfte möglich.
Unser Interviewpartner Lars Tensfeldt ist Krav Maga Trainer

Lars, du hast bereits im Alter von 9 Jahren begonnen, Judo zu trainieren. Wann und aus welchem Grund hast du dich dazu entschlossen, dich nach dem Judo mit dem Krav Maga zu beschäftigen? Wo hast du deine Ausbildung zum Instruktor für Krav Maga absolviert und wann hast du deine Krav Maga Schule eröffnet?

Nach dem Judo bin ich zum Karate gewechselt, das hat mir dort gar nicht gefallen, zu viele vorgegebenen Abläufe. Danach war ich lange beim Jiu Jitsu, auch noch bei der Polizei. Aber auf der Straße als „nicht“ Beamter geht es ganz anders zu. Meine Zeit im Sicherheitsdienst (Doorman und Begleitschutz) und in den Entwicklungsländern hat mir eine andere Sichtweise gezeigt. Anti-Gewalt und Deeskalationsstrategien hatten da wenig Platz. Auch gute Ansätze wie BJJ (Brazilian Jiu-Jitsu ) und JKD (Jeet Kune Do) halfen mir nicht mit dem enormen Stress umzugehen, zu oft gerieten Situationen außer Kontrolle. Dann entdeckte ich Krav Maga für mich – einfach, stressorientiert und universal – das wollte ich. 2010 begann ich bei der GKMF (German Krav Maga Federation) meine Ausbildung als Instructor und eröffnete danach meine Schule.

Welche Philosophie verfolgt das Krav Maga und welche Ziele verfolgt das Selbstverteidigungssystem? Für wen eignet sich das Krav Maga und in welchen Situationen kann die Verteidigungstechnik eingesetzt werden?

Aus meiner Berufserfahrung ist es mir sehr wichtig eine eigene Plattform zu schaffen, in dem sich jeder seinen Ängsten, wie zum Beispiel Schlaghemmungen oder eigenen Erfahrungen mit Gewalt, etc. stellen kann.

Um dieses komplexe Thema intensiv zu bearbeiten, braucht es Zeit, um Vertrauen in die Gruppe und den Instructor zu bekommen. Ziel ist es unter anderem Selbstwertgefühl weiter zu entwickeln und Vertrauen in die eigene Fähigkeiten zu bekommen und dann zu trainieren und zu lernen. Die Gruppe besteht aus Leute, denen der Umgang sehr wichtig ist – und nicht jeder wird von mir angenommen.

Selbstverteidigung oder Selbstbehauptung ist für jeden zu erlernen, ob nun mit oder ohne Kampfsporterfahrungen, jedoch geht es nicht ohne Fleiß bzw. ein paar Blessuren. Mir geht es in erster Linie darum KEINEN neuen Sportverein oder Sportart zu gründen, bzw. neu zu definieren, sondern ALLEN die Möglichkeit zu geben sich in realen Konflikten, wo verbaler Selbstschutz nicht mehr wirkt, verteidigen zu können, bzw. richtig zu handeln oder anderen zu helfen.

Dies ist also kein KAMPFSPORT und keine KAMPFKUNST, sondern eher ein Weg, es gibt keine Regeln wie im Ring oder gute Bedingungen

Alle Techniken werden immer und immer wiederholt, damit sich mit der Zeit eine Art Automatismus auf bestimmte Bewegungsmuster konditioniert. Diese neuen und erlernten Verhaltensmuster müssen regelmäßig mit neuen Reizen im Gehirn verknüpft werden, damit sie auch in Gefahrensituationen abrufbar sind, da wir ja zum Glück noch nicht jeden Tag überfallen werden! Hier gibt es weitere Informationen keine-kampfkunst-und-kein-kampfsport

Ohne Schutzausrüstung ist kein effektives Training im Krav Maga möglich. Welche Ausstattung sollte man demnach zum Training im Krav Maga Hamburg mitbringen?

Der schmale Grat des Trainings beginnt mit der Sicherheit der Schüler. Leider entsteht dadurch zweifellos ein gewisser Konflikt, wenn ich einen Balanceakt zwischen den beiden folgenden sich widersprechenden, eminent wichtigen Ansätzen wagen – einerseits Trainingsmethoden und Szenarien, die den Schüler unter Stress setzen, wie zum Beispiel Überfälle auf der Straße unter lebensnahen Bedingungen simulieren und andererseits Trainingsmethoden, die nichts von dem beinhalten, was die Teilnehmer beeinträchtigen oder ernsthaft verletzen könnten.

So wie ich Krav Maga verstehe, wird immer Wert darauf gelegt, diese beiden gegensätzlichen Vorstellungen miteinander zu verbinden und die Schüler unter nahezu realen Bedingungen zu trainieren. Ich persönlich, halte es für extrem WICHTIG, ihnen nicht etwas zu vermitteln, was Sie nicht ausprobieren (erfahren) können – kaum jemand kauft ein Auto, ohne es vorher Probe zu fahren und nur sehr wenige können auf Gewalt(taten) richtig reagieren, wenn sie nicht Erfahrungen im Umgang mit dem eigenen Stress, der Angst etc. gemacht haben.

Minimum an Ausrüstung ist deshalb: Mundschutz, Tiefschutz, Schutzhelm, Box und Grabblinghandschuhe.

Frauen erleben in der Regel andere Gefahrensituationen als Männer. Aus diesem Grund findet man bei Krav Maga Hamburg gewisse Seminare zur Selbstverteidigung speziell für Frauen. Welche Inhalte werden in den Seminaren behandelt und welche speziellen Techniken und Anwendungen für Frauen gibt es im Krav Maga?

Viele realitätsbasierende Selbstverteidigungssysteme, die angeboten werden, sind schlichtweg unbrauchbar! Es werden Technikabläufe eintrainiert, die unter Hochstress nicht umgesetzt werden können – das ist Augenwischerei!

Die wichtigsten Faktoren wie taktische und strategische Vorgehensweisen, Indikatoren eines bevorstehenden Angriffs usw., werden aufgrund von Inkompetenz ausgeklammert.

Mein Konzept besteht, unabhängig von Krav Maga, aus Konfliktmanagement, Tätererkennung und Analyse, Verhaltensweisen von Aggressoren, Gameplan, Vermeidung, Deeskalation und vieles mehr. Wenn diese Maßnahmen keine Wirkung erzielen oder keine Möglichkeit mehr dazu besteht, wird oft der Pre-Emptive Strike die einzige Möglichkeit sein.

Wir benötigen in einer gewalttätigen Konfrontation einen Gameplan, der sich aus 90% Mindset und zu 10% aus Skills zusammensetzt und als letzte Option den erwähnten Pre Emptive Bereich beinhalten muss. Das heißt, der Angriff gegen die gegenwärtige Gefahr muss mit einer offensiven Geisteshaltung, maximaler Intensität (abhängig vom Bedrohungslevel), Kontinuität und kontrollierter Aggression durchgeführt werden, um abschließend nach dem Neutralisieren der Gefahr die Chance zur Flucht zu nutzen.

In meinem jetzigen Beruf arbeite ich an Schulen mit aggressiven Jugendlichen und begleite sie durch den Alltag. Häufig kommt es hier zu verbalen Konflikten, die oft Gewalthandlungen mit sich führen (Fremd- und Autoaggression). Hier trainiere ich mit den Jugendlichen in Form von Rollenspiele, Opfer-Täter, Deeskalationsprogramme, Anti-Gewaltprogramme etc.
Der schmale Grat des Trainings beginnt mit der Sicherheit der Schüler

Weil es jedem passieren kann

Natürlich hoffen wir, dass wir niemals in die Situation kommen, uns verteidigen zu müssen. Leider kann aber niemand ausschließen, dass es nicht doch einmal passiert. Wer entsprechend vorbereitet ist, zum Beispiel durch Krav Maga-Training, braucht sich darüber keine Sorgen machen und kann in Konfliktsituationen auch anderen Menschen beistehen, ohne sich selbst unbedacht in Gefahr zu bringen – und das, ohne unangemessen Gewalt anzuwenden. Wir danken Lars Tensfeldt für seine Zeit und dieses informative Gespräch.

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